
Leitartikel zum Sonderthema von Wolfram Hegen
Manchmal genügt ein Lächeln, das nicht schwer auf der Zunge liegt, sondern von innen kommt. Manchmal ist es das Gefühl, barfuß über eine Wiese zu laufen. Kein Ziel, kein Druck, kein „Muss“. Nur der Moment – und er ist leicht. Wir wissen es alle: Glück hat ein spezifisches Gewicht. Und das Maß seiner Masse ist die Leichtigkeit. „Trage nur so viel, wie du tragen kannst“, sagt ein Sprichwort. Doch der moderne Mensch trägt schwer – an Terminen, Erwartungen, Selbstbildern. Dabei scheint das Glück eine ganz andere Sprache zu sprechen: die der Leichtigkeit. Sie ist keine bloße Eigenschaft, sondern ein Ideal, ein Versprechen, ein flüchtiger Zustand, der sich manchmal im Wind eines frühen Sommermorgens zeigt oder im Lachen eines Kindes versteckt.
Leichtigkeit – das klingt nach beschwingtem Tanz, nachschwebender Musik, nach Wolken, die über den Himmel ziehen, ohne zu wissen, wohin. In Milan Kunderas berühmtem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ ist diese Leichtigkeit allerdings keineswegs nur Befreiung. Sie wird als existenzielle Herausforderung inszeniert: Was, wenn das Leben keine Schwere hat, keine Bedeutung, kein Gewicht? Ist das dann wirklich Glück? Und doch: Wer spricht in diesen Tagen noch von der Schwere des Seins? Leichtigkeit ist längst zum Lebensideal geworden. Wer „leicht“ lebt, lebt gesund. Wer „leicht“ isst, lebt länger. „Leichte Küche“ ist das Versprechen der neuen Körperreligion, die Fettmisstraut wie früher der Sünde. Das „leichte Leben“ ist zum Inbegriff des modernen Glücks geworden – eine Melange aus Achtsamkeit, Wellness und der Sehnsucht, mit dem Ballast der Welt irgendwie fertig zu werden, ohne ihn dauernd spüren zu müssen.
Auch die Hirnforschung kennt dieses Prinzip. Das Gehirn, so zeigen Studien, liebt die Leichtigkeit – oder besser gesagt: die Energieeffizienz. Es versucht, Entscheidungen möglichst mühelos zu treffen, Routinen zu etablieren, Muster zu erkennen. Komplexität kostet Energie. Und Energie ist knapp. Deshalb fühlt sich das Leichte oft gut an – weil es dem Energiehaushalt schmeichelt. Glück, so könnte man provokant sagen, ist eine Frage neuronaler Faulheit. Der Philosoph Friedrich Nietzsche schrieb: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“ Vielleicht müsste man heute ergänzen: Man muss auch die Leichtigkeit haben, um das Chaos nicht zu ernst zu nehmen. Leichtigkeit ist die Kunst, mit dem Unerträglichen umzugehen, ohne daran zu zerbrechen. Sie ist nicht Oberflächlichkeit, sondern Tiefgang mit Augenzwinkern. Psychologen wie Mihály Csíkszentmihályi sprechen vom Flow, jenem beglückenden Zustand völliger Vertiefung, in dem Handeln und Denken verschmelzen und die Zeit stillzustehen scheint. Leichtigkeit ist dabei nicht Abwesenheit von Anstrengung, sondern das Gefühl, dass selbst die Anstrengung sich leicht anfühlt. Tänzer kennen das, Musiker auch. Wer im Flow ist, spürt kein Gewicht.
In einer Welt, die sich ständig beschleunigt und gleichzeitig erschöpft, ist Leichtigkeit zur Gegenkultur geworden. Wer „leicht“ lebt, entzieht sich dem Druck, immer schneller, effizienter, produktiver zu sein. Es ist eine stille Form der Rebellion: Das Lachen, das nicht kalkuliert ist. Der Spaziergang ohne Ziel. Die Pause ohne schlechtes Gewissen. Der Schriftsteller Italo Calvino forderte in seinen „Sechs Memos für das nächste Jahrtausend“ Leichtigkeit als literarisches Prinzip. Für ihn war sie „kein Entfliehen vor der Wirklichkeit, sondern ein Weg, sie besser zu erfassen“. Vielleicht gilt das auch für das Leben selbst. Leichtigkeit ist dann nicht Eskapismus, sondern ein kluges Mittel gegen die Zumutungen des Daseins. Und so ist das Glück vielleicht kein Zustand der völligen Sorgenlosigkeit, sondern der Moment, in dem das Gewicht der Welt kurz von uns abfällt. In dem wir uns leicht fühlen, ohne flach zu werden. In dem wir uns erheben, ohne den Boden zu verlieren. Wer das Glück sucht, sollte vielleicht nicht nach dem Großen greifen. Sondern nach dem Kleinen, das sich leicht anfühlt. Die Hand auf der Haut eines geliebten Menschen. Das Zwinkern eines Fremden. Der Geruch von frischem Brot. Das Flirren eines Sommertags.
Glück, so scheint es, ist nicht zu haben – aber zu spüren. Und wenn es da ist, ist es nicht laut. Es wiegt wenig. Es ist leicht.
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