Buchempfehlung: „Unter Grund“ von Annegret Liepold

von Martin Vögele von der Buchhandlung Riemann

Ein eindringliches Debüt: „Unter Grund“ von Annegret Liepold

Franka ist Referendarin an einer Schule in München. Auf Anregung ihrer Freundin und Mitbewohnerin Hannah, die als Journalistin über den NSU-Prozess berichtet, besucht Franka mit Ihrer Klasse im Juli 2017 einen Verhandlungstag. Dieser Besuch erweist sich für Franka als traumatisch, denn als Jugendliche war sie in der rechten Szene ihres fränkischen Heimatdorfes aktiv. Eine Tatsache, die sie verdrängt hatte und von der auch Hannah nichts weiß. Franka beschließt, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. So kehrt sie nach Jahren in ihre Heimat zurück. In Rückblicken erzählt Annegret Liepold Frankas Geschichte: eine Jugend im Jahrhundertsommer 2006 – zwischen Dorfplatz, Bushaltestelle und Fußball-WM, zwischen Langeweile und dem drängenden Wunsch, irgendwo dazuzugehören. Nach dem frühen Tod ihres Vaters fehlen Franka Halt und Geborgenheit. Ihre Mutter ist mit der Situation überfordert, der dominanten Oma mangelt es an Empathie und Mitgefühl. Mit Leon, ihrem einzigen Freund, hat sie sich überworfen.

Als Außenseiterin findet sie Zugehörigkeit und Gemeinschaft in der rechten Szene der fränkischen Provinz – befördert durch das sowohl in ihrer Familie als auch in der Dorfgemeinschaft im Verborgenen schlummernde rechte Gedankengut. In ihrem neuen Freundeskreis schlagen Frustration und Wut rasch in radikale Parolen und Gewalt um.

Annegret Liepold verzichtet in ihrer Beschreibung auf Klischees oder einfache Erklärungen. Sie zeigt, wie subtil die Verführung durch eine Ideologie geschehen kann, die Unsicherheiten ausnutzt und soziale Missstände instrumentalisiert. Ihre Sprache ist klar und unaufgeregt, gleichzeitig voller emotionaler Tiefe.

Gerade diese unaufdringliche Erzählweise macht das Buch so eindringlich: Es moralisiert nicht, sondern beschreibt. Die Leserinnen und Leser sind gezwungen, sich selbst mit den Mechanismen von Radikalisierung auseinanderzusetzen.

„Unter Grund“ ist ein ebenso beklemmender wie aufrüttelnder Debütroman über eine Jugend auf dem Land zwischen der Sehnsucht nach Zugehörigkeit, rechter Gewalt und den blinden Flecken der eigenen Familie. Zudem ist es eine tiefgehende Reflexion über Identität und den Kampf, sich selbst zu finden. Feinfühlig und poetisch wirft Annegret Liepold neues Licht auf die wichtigen Themen unserer Zeit: Familie, Zugehörigkeit und Herkunft.


INHALTSANGABE

Inmitten des Schweigens ihrer Familie hat Franka sich schon immer verloren gefühlt. Bereits ihre Großmutter, genannt die Fuchsin, hortete Geheimnisse wie die schwarzen Steine in ihrer Schürze. Als Franka mit Ende Zwanzig in die fränkische Provinz mit den Himmelweihern und Spiegelkarpfen zurückfährt, sieht sie endlich hin: Wie das war in den Nullerjahren, als Deutschland Weltmeister im eigenen Land werden wollte. Als ihr Vater starb und sie in Patrick und Janna Gleichgesinnte fand, die Unsicherheit mit Krawall, Frustration mit Faustschlägen übertünchten. Als sie immer tiefer in die rechte Szene einstieg. Sie beginnt Fragen zu stellen und sucht nach einer Haltung zur Vergangenheit.

ANNEGRET LIEPOLD

… geboren 1990 in Nürnberg, hat Komparatistik und Politikwissenschaften in München und Paris studiert. Für die Arbeit an ihrem Debüt „Unter Grund“ erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, u.a. das Literaturstipendium der Stadt München sowie die Einladung zur 15. Schreibwerkstatt der Jürgen-Ponto-Stiftung und zur Romanwerkstatt des Literaturforums im Brecht- Haus Berlin. 2022 war sie Finalistin des open mike. Sie arbeitet für die „Bayerische Akademie des Schreibens“ am Literaturhaus München.