Coburger Meilensteine: Der Coburger Rutscher

So schmeckt Heimat

In Coburg rutscht der Kloß nicht nur über den Teller, sondern direkt ins Herz. Der „Coburger Rutscher“ – weich, warm und mit knusprigen Bröckerla – ist Kult, Sonntagsritual und ein Stück Stadtidentität.

Er kam spät, doch blieb für immer: Nachdem die Kartoffel nach dem Dreißigjährigen Krieg über Oberfranken ins Coburger Land fand, galt sie zunächst als Viehfutter. Erst die aufgeklärte Agrarpolitik und die Hungerjahre des 18. Jahrhunderts machten aus der Knolle eine verlässliche Nahrung – und bereiteten die Bühne für eine Liebe, die in Coburg bis heute anhält. Die Idee vom Kloß flammt um 1800 in Thüringen auf und wandert bald an die Itz. Ein frühes Rezept für rohe Klöße überliefert Pfarrer Friedrich Timotheus Haim: gepresste Kartoff elmasse, mit Brei überbrüht, geformt, gegart.

In Coburg verfeinert man das Prinzip. 1856 schreibt Küchenmeister Christian Oehm im ersten Coburger Kochbuch die berühmten „Bröckerla“ fest – in Butter geröstete Semmelwürfel, die den Teig beim Kochen zur weichen Perfektion führen. Hier entsteht der Unterschied zum Thüringer Kloß: Der Coburger will nicht strammstehen, er will anmutig gleiten. So erklärt sich der Name. Der Rutscher zerfließt sanft , nimmt die Bratensoße auf wie ein Schwamm und liefert sie, wohlig temperiert, an den Gaumen. Während man um Bamberg und Lichtenfels gern die festere Kugel schätzt, bekennt sich Coburg zum kulinarischen Crescendo der Weichheit. Schon vor hundert Jahren wusste man hier:

Ein Sonntag ohne Klöße ist kein richtiger Sonntag. Die Stadt hat dieser Treue eigene Geschichten geschenkt. Das vermeintliche „Klößmaß“ am Portal der Morizkirche – in Wahrheit wohl ein Apfel in Evas Händen – zählt dazu, ebenso die Kinder, die in Coburg angeblich mit Klößen das Zählen lernen. Nach dem Anschluss an Bayern 1920 setzten sich Kartoffelklöße fränkisch flächig durch, der Rutscher behauptete seinen Rang – Seite an Seite mit der Coburger Bratwurst. Und seit 2006 erhält er, was jeder Star verdient: ein Fest auf dem Marktplatz, an dem die Stadt dem Kloß den roten Teppich auslegt. So ist der Rutscher mehr als Beilage. Er ist eine kleine, luft ige Geschichte von Mangel und Einfall, von Handwerk und Heimat – und ein Coburger Bekenntnis dazu, dass wahre Größe darin liegt, elegant zu rutschen statt schwer zu fallen