Grenzerfahrungen: Franziskaner verlassen Vierzehnheiligen

„Um jeden Ort, an denen ein Kloster schließt, ist es schade“

Die Franziskaner verlassen Vierzehnheiligen. Die Nachricht hat viele aufgeschreckt. Pater Maximilian ist der Hausobere der Franziskaner. Acht Brüder sind sie noch im Kloster, zwei Drittel von ihnen sind über 80 Jahre alt, nachrücken will niemand. Also verlassen die Verbliebenen im Herbst 2028 den Ort, an dem die Franziskaner seit fast 200 Jahren wirken.

„Wir sind Wandermönche. Keiner von uns bleibt ein Leben lang. Der Wechsel ist gewollt“, erzählt Pater Maximilian Wagner. Er feiert bald seinen 60. Geburtstag. Wo er lebt und wirkt, gehört er seit Jahrzehnten zu den Jüngsten. Die Trauerphase, das Abschiednehmen von einem Ort, der Kloster gewesen sein wird, beginnt mit der Nachricht, dass es so kommen wird. Pater Maximilian kennt das. Bevor er 2021 nach Vierzehnheiligen kam, war er in Berlin. Auch dieses Kloster wurde aufgelöst, weil der Nachwuchs fehlte. Damals wurde die Nachricht ein Jahr vorher veröffentlicht. Jetzt sind es etwas knapp drei Jahre. Das Abschiednehmen beginnt.

„Für jeden Ort, an dem ein Kloster schließt, ist es schade“, sagt er. Doch Pater Maximilian sieht stets die Zuversicht: „Der Charakter des Ortes wird ja weitergeführt – nur eben nicht mit uns. Es wird sich etwas Neues entwickeln.“ Er führt durch breite Treppen und hohe Räume zu seiner Wohnung im ersten Stock. „Für Franziskaner ist das wirklich ein nobler Ort“, sagt er. Gebaut haben das Kloster schließlich die Zisterzienser – anders als der Franziskanerorden standen sie dem Prunk und Reichtum näher. Die Bücher in einem Wandschrank im großen Saal stammen noch aus dieser Zeit. Auch viele der Ölbilder an den Wänden hängen schon lange. Nach der Säkularisierung fiel das Kloster an den König, der die Franziskaner 1839 beauftragte, den Wallfahrtsort zu betreuen. Das Gebäude des Klosters gehört heute dem Bayerischen Staat. Was mit dem Räumen, den Büchern, den Bildern geschieht, wenn die letzten Franziskaner hier ihre Zimmer räumen? Pater Maximilian zuckt mit den Schultern.

Pater Maximilian beobachtet die Wallfahrer, die in größeren und kleineren Gruppen den Berg hinauf steigen. „Sie kommen ja nicht nur wegen der sportlichen Fitness – viele von ihnen haben ihr Päckchen zu tragen.“ Sie setzen sich in die riesige Basilika. Die Franziskaner halten einen ihrer Brüder bereit, um ihnen die Beichte abzunehmen. Das wird weniger. Früher waren noch drei oder vier gleichzeitig gefragt. Doch der Ort bleibt ein besonderer. Pater Maximilian formuliert es so: „Diese Kirche ist ein durchbeteter Raum. Er zieht die Menschen an wie ein Magnet.“ Manchmal setzt er sich still neben die eine oder den anderen. Manchmal kommt es dann auch zu einem Gespräch. „Die Menschen erzählen dann von ihrer Not, weil sie einen Angehörigen verloren oder vom Arzt eine blöde Diagnose bekommen haben.“

„Kinder stecken voller Fragen“, beobachtet er. Sie stehen ein paar Schritte weit in der Basilika und staunen mit offenem Mund. Maximilian Wagner liebt diese Führungen mit Kindern. Immer wieder bringen sie ihn zu Rätseln, die er dann zu lösen versucht – beispielsweise warum dem Heiligen Wendelin eine Krone zu Füßen liegt. „Mir war das vorher nie aufgefallen“, sagt der Pater. „Die Kinder öffnen uns die Augen.“ Wenn er die Herzen öffnen will, nimmt er oft sein Akkordeon zur Hand. Er spielt und singt dann zusammen mit Kindern im Kindergarten – oder auch im Altenheim. So wie nebenan bei den pflegebedürftigen Franziskusschwestern. Auch sie haben mit der Schließung des Konradshofes ein Ende besiegelt.

Pater Maximilian lässt sich auf den Ort ein, an dem er wohnt und wirkt – und er versucht ihn ins Hier und Heute zu tragen. „Wir sollten uns auf die Herausforderungen einlassen“, sagt er. Und so ist aus dem Pater und Musiker auch ein Notfallseelsorger geworden. „Ich arbeite da mit den Nothelfern von heute zusammen: Polizei, Rettungsdienst und Bestatter.“ Egal ob Helfer oder Betroffene, manch einer fängt einfach das Reden an. Maximilian Wagner hört dann zu. Er begleitet die Menschen mit Ruhe und ruhigen Worten. Sein Orden ist in manchen Dingen keine andere Gemeinschaft als weltliche.

Die Probleme werden verdrängt so lange es geht. „Viele meiner Mitbrüder wollen es nicht wahrhaben. Sie denken, es kommen immer Neue nach.“ Der Rat der Franziskusbrüder muss zwar offiziell noch beschließen, dass der Orden Vierzehnheiligen verlässt, doch für Pater Maximilian ist das klar. „Wir müssen eine andere Lösung für die Wallfahrer finden. Es fehlt schlicht das Personal.“ Also versucht der Hausobere dorthin zu blicken, wo dieses Schicksal bereits eingetreten ist. Beispielsweise in Werl im Erzbistum Paderborn. Dort wird inzwischen ein Wallfahrts-Team eingesetzt. „Ein solches Team habe ich auch unserem Bischof vorgeschlagen – als eine mögliche Lösung“, sagt der Pater. Er selbst könnte sich vorstellen, Teil eines solchen Teams zu werden.

Zwischen seiner Klosterauflösung in Berlin und dem Einsatz in Vierzehnheiligen hatte Pater Maximilian um eine Auszeit gebeten. Drei Wünsche erfüllte er sich in diesem halben Jahr. Er schrieb in Meditation eine Ikone, lebte ein paar Wochen auf der Insel Borkum und lief den Franziskusweg von Florenz nach Rom. Er weiß, dass ein Weg immer weiter geht. Und er weiß um das Besondere in Vierzehnheiligen. Wenn bei einer großen Wallfahrt die ganze Kirche voll ist und eine tolle Liturgie gefeiert wird, ist das für ihn aufregend: „Das zu erleben ist für mich ein Gänsehaut-Moment.“