Grenzerfahrungen: Vom Willen zum Leben #65

Von Wolfram Hegen | Fotos: Val Thoermer

Die Geschichte von Udo Altenfelder und Stephan Herzer

Es ist der 28. September 1997. Udo Altenfelder, damals 32 Jahre alt, ist in bester körperlicher Verfassung, trainiert regelmäßig im Fitnessstudio, lebt sportlich. Doch an diesem Sonntagmorgen ändert sich alles: „Es fühlte sich an, als würde mir jemand mit einem Messer in den Kopf stechen, als ob es mir das Gesicht wegreißt“, erinnert sich Altenfelder an den Moment, als er plötzlich zusammenbricht. Ein Aneurysma ist geplatzt, er erleidet eine schwere Hirnblutung und fällt ins Koma – für fünf Monate. „Man sagte meinem Bruder, er brauche gar nicht erst mit ins Krankenhaus zu kommen, das würde nichts mehr werden“, erzählt er heute. Die Ärzte kämpfen um sein Leben, setzen schließlich ein Ventil, um den Hirndruck zu senken. „Ohne das wäre ich gestorben.“ Doch gegen alle Erwartungen wacht Udo Altenfelder auf.

„Nie aufgeben, du hast keine Chance, nutze sie.“ Udo Altenfelder

Der lange Weg zurück ins Leben

„Ich wusste nicht, wo ich war oder was passiert ist“, sagt er. Der Weg zurück ins Leben wird ein steiniger, es dauert Jahre, bis er wieder Fuß fasst. „Man muss erst einmal mit so einem Trauma abschließen, es verarbeiten. Das dauert, und dann musst du nach vorne schauen, sonst kommst du aus dem Kreislauf nicht heraus.“ 2003 beginnt Altenfelder, sich medizinisch fortzubilden. Er will verstehen, was mit ihm geschehen ist, wie er sich selbst und anderen helfen kann. „Mich hat interessiert, was nach der Schulmedizin kommt.“ Heute ist er Fitness- und Reha-Trainer, Heilpraktiker, Pflegehelfer und betreut 700 Reha-Patienten. Er hat seinen Weg gefunden. „Mein altes Leben gibt es nicht mehr“, sagt er. „Ich war damals zu 80 Prozent schwerbehindert, habe keine Arbeit mehr gefunden. Heute ist mein Beruf meine Berufung. Alles andere interessiert mich nicht mehr, aber ich vermisse das nicht. Mein Leben hat jetzt einen Sinn.“

Ein neuer Schicksalsschlag

Einer seiner alten Freunde ist Stephan Herzer. „Wir haben früher zusammen trainiert, waren seelenverwandt, verstanden uns ohne Worte“, erinnert sich Altenfelder. Doch im Laufe der Jahre verlieren sich die beiden aus den Augen. 2014 bricht der Kontakt ab.

Am 28. September 2023, also auch an einem 28.9., trifft auch Herzer das Schicksal schwer. Auf dem Weg zum „Stiefvater“, einem bekannten Berg bei Neustadt, wird er auf der Staatsstraße mit seinem Fahrrad von einem Auto erfasst. „Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich in den Keller ging, um mein Fahrrad zu holen. Den Rest erfuhr ich später.“ Herzer wird 25 Meter durch die Luft geschleudert und erleidet schwerste Verletzungen: gebrochene Hüfte, zertrümmertes Becken und zahlreiche Wirbelbrüche. „Im Hubschrauber tauchten diese Bilder in meinem Kopf auf – ich sah mich dort liegen, eingewickelt in eine Folie.“ Nach einer 14-stündigen Operation in einer Spezialklinik wird Herzer klar, dass sein Leben sich unwiderruflich verändert hat. „Mir war klar, dass ich nicht mehr laufen können würde. Das Rückenmark war gequetscht. Ich wäre lieber tot gewesen.“

Ein Funken Hoffnung

Udo Altenfelder hört vom schweren Unfall seines alten Freundes und will sofort wissen, wie es ihm geht. „Man sagte mir, Stephan sei tödlich verunglückt, aber dann erfuhr ich, dass er noch lebt.“ Altenfelder versucht, Kontakt aufzunehmen, doch Herzer will niemanden sehen. „Das habe ich akzeptiert“, sagt er. Zehn Monate nach dem Unfall, im Sommer 2024, schreibt Udo Altenfelder noch einmal, bietet seine Hilfe an. Und Stephan Herzer meldet sich zurück. „Ich wusste ja, dass, wenn man will, so wie Udo es wollte, dass man viel schaff en kann und so habe ich nach diesem Funken Hoffnung gegriffen.“

Am 21. Juli 2024 treffen sich die beiden Männer das erste Mal nach zehn Jahren. „Es war schlimm, ihn so zu sehen. Er war eingefallen und hat viel geweint“, erinnert sich Altenfelder. Doch trotz der schlechten Diagnose beschließen sie, es gemeinsam zu versuchen. „Das Rückenmark war gequetscht, aber ich habe darauf gesetzt, dass noch ein Rest an Nervenimpulsen da ist.“

Der Kampf zurück

„Wir haben sofort losgelegt.“ Udo Altenfelder setzt einen Nervenstimulator ein, „am Anfang hat Stephan da kaum drauf reagiert, jetzt kann ich die Impulse schon herunterfahren“, er ergänzt die schulmedizinische Medikation um Naturheilmittel. „Das muss beides zusammenarbeiten.“ Vitaminspitzen, „die brennen wie die Hölle“, Extrakte aus Schlangengift , Enzyme. „Wir ziehen da ein Programm durch wie bei Multiple-Sklerose Patienten“, sagt Altenfelder. Und vor allem: Training, Training, Training. „Die Muskulatur muss gestärkt werden, damit er wieder stehen, vielleicht wieder laufen kann.“ Kleine Erfolge, große Ziele Und tatsächlich zeigen sich schnell erste Erfolge. „Nach drei Behandlungen habe ich gemerkt, dass es besser wird. Die Übungen fielen mir leichter, und vor allem: Ich konnte wieder stehen“, berichtet Stephan Herzer stolz. Dieser kleine Schritt gibt ihm den Lebensmut zurück. „Ich will nicht für immer im Rollstuhl sitzen, ich will wieder arbeiten“, sagt er entschlossen. Sein großes Ziel: „An Weihnachten will ich ohne Rollator stehen. Das wäre das schönste Weihnachtsgeschenk.“