Zwa im Brödla #68

Seit der CSI-Schwemme aus Ami-Land wird der Tod immer ästhetischer. Der gewaltsam aus dem Leben Gerissene liegt tiefenentspannt und hygienisch einwandfrei auf einer sauberen, glänzenden Metallbahre. Auch außen rum ist in der Pathologie alles schön friedlich und einwandfrei aufgeräumt. Die Überlebenden schauen auf einen schönen, jungen, athletischen, gut geschminkten toten Körper in blauem Licht. Wie man halt später auch mal ausschauen will nach dem Tod: so eine schöne Leich. Und topfit. Ältere, fette und aufgedunsene Körper werden nicht so oft gezeigt. Und alles immer schön enthaart. Keine verzerrten Gesichter, grotesk verdrehten Gliedmaßen, mit Blut und anderen Körpersäften verschmutzte Bahren. Haben Sie schon mal gesehen, wie bei einem fettleibigen toten Menschen die Bauchdecke mit so einer kleinen Säge geöffnet wird? Die Fettschicht schaut aus wie Schaumstoff im Baumarkt. Das ist die Realität, aber die Realität will man im Fernsehen dann doch nicht allen zumuten, auch wenn man immer so tut.

Es gibt ja Leute, die wollen unter allen Umständen mal im Tatort mitspielen. Oder wenn nicht zur Prime-Time, dann wenigstens in einer Vorabendserie. Und wenn es als Leiche ist. Als Leiche in einer Vorabendserie hast du immerhin den Vorteil, dass du nicht viel sagen musst. Die meisten Dialoge hören sich an wie mit dem Märklin-Drehbuch-Bausatz zusammenmontiert.

Trotzdem hat so eine Leichenrolle diverse Nachteile. Ich hab mal über meine Agentur ein Drehbuch erhalten. Ich hab’s sogar ganz durchgelesen, anders als beim Tatort. Da habe ich mir nur die Seiten rauskopiert, bei denen ich mitspiele. Und die hab ich dann gelernt. Okay, bei einem Dreh habe ich mal Zettel neben der Kamera angebracht, aber das Drehbuch war auch wirklich scheiße. Gerard Depardieu und Bruce Willis haben lang mit Post-Its gearbeitet, und natürlich: Genie und Wahnsinn liegen eng beieinander, oder es ist dann halt doch Demenz. Ich komm schon wieder vom Thema ab.

Ich hab also das Drehbuch ganz durchgelesen. In der ersten Szene gehe ich durch den Wald. Du schlägst das Drehbuch auf, und freust dich, dass dein Charakter gleich in der ersten Einstellung zu sehen ist. Im Wald trittst du einem anderen Typen gegenüber. Den sieht man aber nur unscharf von hinten. Mit Kapuze. Unscharf mit Kapuze, da weißt du gleich: Das ist der Mörder! Aber die Figur, die ich spielen muss, ist offensichtlich nicht die hellste Kerze auf der Torte, deshalb frag ich noch: „Warum treffen wir uns im Wald?“

Und anstatt wegzulaufen, was ich normalerweise machen würde, wenn ich nicht einem hirnrissigen Drehbuch ausgeliefert bin, muss ich noch weitersprechen und dazu einen wichtigen Gesichtsausdruck machen: „Und warum hast du eine Axt bei dir?“ Und schon trifft mich der Schlag mit der Axt. Natürlich kommt ein schneller Schnitt, bevor das Beil in meinen Schädel eindringt. Wir sind im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen. Und wenn ich dann am Boden liege, sieht man auch das ganze Hirn-Geglibbere, das austritt, nicht so ekelhaft , wie es eigentlich sein müsste, sondern es ist eher so gemütlich angeordnet, als würde man auf einem Kopfkissen liegen. Ich war verwundert, dass ich schon auf Seite Eins ins Gras beiße. Oder eher ins Moos. Denn angesetzt waren zwei Drehtage. Ich hab daraufhin das komplette Drehbuch gelesen. Das mach ich sonst nie, aber ich habe auf die Stelle gewartet, an der mein Charakter nochmal in einer superdramatischen Rückblende erscheint. Bestimmt eine Szene, in der ich was mit den Augen machen kann. Ich mach wirklich gerne was mit den Augen. Zusammengekniffen. Rausgedreht. Klein/groß im schnellen Wechsel.

Die Stelle kam nicht. Ich hab bei meiner Agentur angerufen, um rauszukriegen, wofür es den zweiten Drehtag überhaupt braucht. Wo komm ich denn noch vor? Natürlich in der Pathologie. Ich wurde nicht extra aufgeführt, weil man das als Leiche eigentlich wissen muss. Mir war sofort klar, was das bedeutet: ewig in der Maske blau geschminkt werden. Dann kriegt man akkurat eine schöne Wunde hinmodelliert. Und anschließend liegt man im Slipper reglos auf der kalten Metallbahre.

Tatsächlich ist tot im Wald liegen noch schlimmer. Eine Mücke fliegt dir unter den Bart und sticht dich in Kinn und Hals. Die Ameisen krabbeln dir in die Hose. Und immer schön reglos liegenbleiben, während du denkst: Daheim muss ich mich sofort nach Zecken absuchen! So ein Wald tritt einem Schauspieler schon gewaltig in den Arsch.