
Die Coburgerin Anna Deller-Yee
Sie verbindet Mode und Malerei – und kehrte nun mit einem Livepainting im Rahmen der Museumsnacht in ihre Heimatstadt zurück.
Hypnotische Beats wummern in der alten Schlachthalle in Coburg. Besucher bewegen sich im Kreis, den Blick immer in die Mitte gerichtet. Dort, hinter, vor, zwischen hohen Glasplatten im Stahlrahmen kniet, kauert, steht Anna Deller-Yee, immer einen Pinsel in der Hand, eine Palette mit Farben mal in der anderen, mal auf dem Boden. Sechs Stunden lang verwandelt sie die transparente Architektur in ein Geflecht aus Linien, Figuren, Farben.
Der Prozess ist Kunst, die Kunst zugleich Performance, wird live gestreamt. Manche Besucher stehen minutenlang still, andere hocken regungslos hinter ihr, um keinen Pinselstrich zu verpassen. So inszeniert Deller-Yee in ihrer Heimatstadt ihr Werk „Durch die Linien, die ich wurde“. Es wirkt wie eine Rückkehr im doppelten Sinn: zu den Wurzeln und zu sich selbst.
Für Deller-Yee war es ein „Full-Circle-Moment“ – ein Kreis, der sich schließt. Denn Coburg ist für sie mehr als nur Herkunft. „Coburg ist meine Heimat. Ich bin hier groß geworden. Es bedeutet für mich Ruhe, Erholung, Familie – einfach wieder zu sich finden.“ Dass sie, in Chicago geboren, im Alter von neun Jahren nach Coburg gezogen, etwas mit Design, mit Kunst machen werde, war ihr schon früh klar: „Also ich wusste schon, dass ich was mit Design machen möchte, als ich die Zeitschriften von meiner Mutter entdeckt habe, so mit sieben, acht Jahren, das waren eben Modezeitschriften, die Vogue. Und ich war total gewowed von dem, was ich darin gesehen habe als kleines Mädchen und wusste sofort, dass ich das auch machen will.“ Halt fand sie auch in der Kunstlehrerin Isolde Russ, die sie förderte, bestärkte und mit ihr zeichnete – bis zum Abitur. Eine behütete Rebellion mit Bleistift und Farbe, aus der später ein Beruf wurde.
„Coburg ist meine Heimat.“
Die Entscheidung erwies sich als richtig. Heute pendelt die 30-Jährige zwischen Berlin und Mailand, zwischen Kunst und Mode. „Es ist das Beste aus beiden Welten: Berlin ist die aufstrebende Kunstmetropole, Mailand die Stadt der Mode. Und das spiegelt sich auch in meiner Arbeit wider.“ Kunst und Design sind für sie keine Gegensätze, sondern sich gegenseitig nährende Kräfte: „Ich sehe sie wie zwei Pole, zwischen denen ich hin- und herpendle. Das eine lebt vom anderen – und umgekehrt.“
Zuletzt hat sie mit ihren Arbeiten die großen Bühnen erreicht: Für das italienische Label Marni entwarf sie handbemalte Textildrucke, für Nike eine eigene Kollektion. Und dann war da dieser Moment, der tatsächlich wirkte, als hätte sich ein Kindheitstraum erfüllt: ein Editorial samt Cover der Vogue. „Es war krass, wieder so ein Full-Circle-Moment. Von den Magazinen meiner Mutter bis zu dem Moment, dass ich selbst daran mitarbeiten darf – surreal. Ich musste zweimal auf mein Postfach schauen, als die Anfrage kam.“
Gemeinsam mit Schauspielerin Emilia Schüle, mit Stylisten, Fotografen und der Redaktion entwickelte sie die Idee, arbeitete direkt am Set, während andere die Kamera auslösten oder die Kleidung drapierten.
Doch der Glanz der Modewelt ist nur eine Seite. Die andere ist das Ringen um eine künstlerische Haltung. „Es ist harte Arbeit“, sagt sie. „Und ich weiß es zu schätzen, dass ich so leben darf. Aber man muss sich treu bleiben. Sich nicht von anderen verwässern lassen. Und sich schon gar nicht sagen lassen, dass man etwas nicht darf. Ich habe das oft gehört: Dass ich mich entscheiden müsse zwischen Kunst und Design. Aber das muss ich nicht.“
Gerade deshalb war das Livepainting in Coburg ein Manifest: die Gleichzeitigkeit von Prozess und Produkt, von Heimat und Welt, von Mode und Malerei. Die Glaswände, die sie bemalte, waren dabei mehr als nur Oberfläche. Sie wurden zur Metapher: transparent, fragil, durchlässig – und doch im Stahlrahmen verankert. Während die Musik pulsierte und die Zuschauer den Pinselstrichen folgten, entstand nicht nur ein Bild, sondern auch eine Begegnung. Zwischen Künstlerin und Publikum, zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Dass dies in Coburg geschah, verlieh dem Abend seine besondere Intensität. Hier begann alles – mit den Magazinen, mit ersten Zeichnungen, mit den Stunden bei der Kunstlehrerin, die sie förderte. Und hier kehrte Deller-Yee nun zurück, um zu zeigen, dass aus einer stillen Leidenschaft eine internationale Karriere werden kann. Vielleicht war es diese Mischung aus urbaner Energie und persönlicher Erinnerung, die den Abend so besonders machte. In der ehemaligen Schlachthalle traf die globale Kunstszene auf eine Stadt, die sie geprägt hat. Am Ende stand ein Bild, das zugleich Werk und Prozess war – und eine Künstlerin, die sich zwischen den Welten bewegt und dabei immer wieder zu ihren Linien zurückfindet.
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