Jammern, aber bitte mit Lösung
Von Tim Birkner
„Also die Karin hat den Dienstplan geschrieben – ich sage dir, die hat was gegen mich. Eine Unverschämtheit, was bildet die sich nur ein…“ oder „Was denkst du, Otto, mein Nachbar, hat mir wieder die Einfahrt zugeparkt. Dabei weiß er genau, wann ich raus muss…“ Jede und jeder kennt diese Gespräche. Wer einmal in diesem Fahrwasser ist, kommt so leicht nicht mehr raus. Aber Hand aufs Herz: Wer fühlt sich nach so einem Dialog besser? Wer ist glücklicher?
Was ist das für ein Fahrwasser? Mein Gegenüber soll endlich verstehen, dass sich die ganze Welt gegen mich verschworen hat und mir Unrecht will. Absichtlich. Nur gegen mich. Und alles Handeln da draußen ist schlecht und böse, einer ist doofer als der andere. Man gerät ohne große Mühe in diesen Sog hinein. Die umgekehrte Fahrtrichtung braucht Absicht. Ich muss erzählen wollen, was mir heute Schönes passiert ist, wer mich aufgebaut oder zum Lachen gebracht hat. Der Test danach: Wem geht es besser? Wer kann die Leichtigkeit mit in seinen Tag nehmen?
Wie das Eine mit dem Anderen verwoben ist, zeigt Sebastian: „Wir denken ja immer, wir sind in Deutschland die Besten – dabei sind wir richtig scheiße.“ Der Notfallsanitäter steht vor einer siebten Klasse und möchte ihnen zeigen, wie sie Leben retten. Denn in den Niederlanden können das – zumindest formal – 70 Prozent, in Deutschland gerade einmal ein Drittel der Menschen. Und dann? Dann dreht er die Fahrtrichtung einfach um. „Lasst uns das verbessern. Dafür brauche ich euch.“ Und Sebastian bringt 27 Schülerinnen und Schüler dazu, um die Wette die Herzen wieder zum Schlagen zu bringen. Cool, oder?
Das muss doch übertragbar sein, oder? Wie wäre es mit einem Experiment? Jede und jeder erzählt die ganz schlimmen und gemeinen Jammergeschichten nur dann, wenn es zumindest einen Lösungsversuch gibt. Einen, der durch eigenes Handeln klappt – oder mit dem gemeinsamen Handeln des Gesprächspartners. Im Tun kommen neue Ideen und neue Lösungen.
„Aber ich mach doch den Dienstplan nicht, da kann ich nichts tun…“ Richtig. Aber wenn alle anderen Begebenheiten, für die es eine Lösung gibt, verbessert sind, dann wird sich auch für – oder besser mit – Karin ein Weg finden. Auch das Lösen braucht Übung. Je mehr jeder sich darin übt, desto leichter wird es gehen. Dieses Üben kann ansteckend sein, wie in der siebten Klasse. Nochmal und nochmal wollen sie Herzen zum Schlagen bringen und besser darin werden.
Wenn diese Klasse (natürlich nur in dem Experiment) ein Vorbild ist, was dann? Dann wird es im Landkreis so viele Lebensretter geben wie in den Niederlanden, jedes Haus hat einen Glasfaseranschluss, zumindest so viele wie in Estland. Orte für Kunst, Musik, Sport und Bildung bekommen so viel Aufmerksamkeit wie der Straßenbau. Die gleichen rund 200 Millionen Euro wie für die Ortsumfahrung von Trieb und Hochstadt wären schon mal ein Anfang. Der Landkreis erzeugt soviel regionale, grüne Energie wie unsere Nachbarn in Bamberg. Und auf den Termin beim Facharzt muss niemand mehr zwei Monate warten, sondern nur noch zwei Tage.
Bis dahin gibt es Geschichten über das, was uns bewegt und erbaut. Der Braten mit Klößen, der ein Gedicht ist, wo auch immer… Das Fachwerkhaus oder die neueste Architektur, die Flechtfiguren oder den Festumzug, wo man Selfies mit seinen Freunden gemacht hat. Die Stunden in Gemeinschaft mit schlau en Erkenntnissen oder auch bloß mit einem lustigen Geblödel.
Und nebenbei und parallel übt sich jeder in kleinen und großen Lösungen, die wir dringend brauchen. Alleine oder noch besser miteinander. Jede und jeder dort, wo er und sie etwas bewegen kann. Dann unterhalten wir uns nochmal. Das wär doch mal ein Experiment.