Hier wohnte… #50

… EIN FÜNFUNDZWANZIGER

Eine stark verwitterte Jahreszahl, kaum zu erkennen. Eingemeißelt auf dem Abschlussstein über einer Tür. Im Jahre des Herrn 1856 und dazu die Abkürzung eines Eigentümers. Das Bauernhaus im Herzen von Scheuerfeld hieß damals einfach nur Nummer 6. Es gab noch nicht viele Wohnhäuser hier. Heute ist das die Nikolaus-Zech- Straße 16. Im Herzen des Coburger Stadtteils liegt das Haus noch immer.

Johann Nicol Gieck hat sich da einst in Sandstein verewigen lassen über der Eingangstür des Brunnenhauses. Heute ist derselbe leider versiegt. Wahrscheinlich aufgrund des Neubaugebietes ist der Grundwasserspiegel in den letzten Jahrzehnten zu sehr abgesunken. Und nicht nur ein Brunnenhaus gehörte zum Gieckschen Hof. Mit einer Futterkammer, einem Stall, einem Holzhaus, einem Backofen, einem Wurz- und Baumgarten und einem Stadel war die Nummer 6 auch früher schon kein kleiner Hof. Deswegen zählte die Familie Gieck auch zu den 25 wohlhabenden Familien in Scheuerfeld, die sich im Volksmund „Die Fünfundzwanziger“ nannten. Seit dem 17. Jahrhundert war in der Dorfordnung festgeschrieben, dass diejenigen, die Landbesitz hatten, die Bedürfnisse der Dorfgemeinschaft mitfinanzieren mussten. Sehr modern gedacht: die Wohlhabenden bauen die Wege und bezahlen den Pfarrer und dürfen im Gegenzug Überschüsse aus dem  Gemeindevermögen unter sich aufteilen.

Das ging auch viele Generationen lang gut. Bis die Magd Elisabeth Pommer ein uneheliches Kind zur Welt brachte, das nun irgendwie versorgt werden musste. Da das Gemeindesäckel gerade nicht so üppig gefüllt war, beschlossen die Fünfundzwanziger kurzerhand, dass eine Umlage von 20 fränkischen Gulden für jeden Scheuerfelder fällig wird, um das Kind großziehen zu können. Also auch für die Kleinbauern und besitzlosen Arbeiter und Knechte. Nun schwappte jedoch der Freiheitsgedanke der revolutionären Ereignisse von 1848 bis in die entlegensten Zipfel Deutschlands, also auch bis nach Scheuerfeld.

Die „kleinen Leute“ wehrten sich, diese Umlage zu bezahlen. Sie begehrten erstmals in ihrem Leben öffentlich auf. Schließlich hatten sie nicht die gleichen Rechte wie die Landbesitzer, also hatten sie, so ihre Argumentation, auch nicht die Pflichten, die diese ihnen auferlegten. Der Streit im Dorf um die Armenunterstützung konnte nicht beigelegt werden und beschäftigte zu guter Letzt die Herzogliche Landesregierung, denn keine der beiden Parteien lenkte ein. Erst im Jahre 1864 einigten sich die Gemeindemitglieder und stimmten mehrheitlich für eine Gleichstellung aller Dorfbewohner. Die Sonderrolle, die die Fünfundzwanziger innehatten, war damit Geschichte. Nicht alle fanden sich mit dem für sie revolutionären Umschwung in Scheuerfeld ab. Einige der bevorzugten Familienoberhäupter kämpften noch mit Hilfe von Rechtsanwälten um die Widerherstellung ihrer alten Rechte. Schlussendlich unterlagen sie. Eine neue Zeit hatte begonnen.

Das Herzogliche Staatsministerium klappte den Aktendeckel „Dorfordnung Scheuerfeld“ zu. 2006 klappten die jetzigen Besitzer Uta Orlamünde und Ingo Ernst ein neues Kapitel des Gieckschen Hofes auf. Der bereits vorhandene Anbau an das Wohnhaus mit darunter liegender Garage war für das Ehepaar ein unerwarteter Glücksfall, konnte der neue Besitzer hier doch seine Oldtimer reparieren. Über der Werkstatt lebt die fünfköpfige Familie, während im „alten“ Teil des über 400 Jahre alten Bauernhauses zwei Wohnungen vermietet sind. Lieblingsplatz der Hausherrin ist eindeutig die an den Pfarrgarten angrenzende Scheune. Hier wohnen Fledermäuse – das Scheunentor bleibt deswegen immer auf Durchzug, um den nachtaktiven Flugtieren die Einflugschneise offen zu halten. Und irgendwo in dem alten Baumbestand nistet auch eine Eule.

Die original erhaltene Scheune dient aber auch den Menschen als Rückzugsort. In lauen Sommernächten fühlt man sich hier zurück versetzt in längst vergangene Zeiten. Jetzt ist auch das Scheunendach endlich wieder dicht. Die Hausherren höchstselbst tauschten die Ziegel aus, nachdem bei einer Baustelle in der Leopoldstraße glücklicherweise jede Menge der fränkischen Rinne abgebrochen worden war und nicht mehr benötigt wurde. Nun dürfen sie sich auf dem ehemaligen Gieckschen Hof auf ihr Altenteil zurückziehen und dem  Scheunendach und deren Bewohner darunter noch gute Dienste leisten.

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