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HIER WOHNTEN… #33

… BUNDESJUSTIZMINISTER UND KAKTEENLIEBHABER

Egal von welcher Seite man sich dem Haus nähert. Er sieht aus jedem Blickwinkel völlig anders aus. Den Eindruck einer individuellen Villa verstärkt auch die außergewöhnliche Dachform: ein dickes Türmchen, Erker, kleine und große Vorsprünge. Keine Frage, hier wollte sich der Bauherr Anfang des 20 Jahrhunderts deutlich abheben von bereits bestehenden Gebäuden in der Vestestadt.

von Heidi Schulz-Scheidt
Fotos: Val Thoermer

Schon die erhöhte Lage der Villa mit der Hausnummer 22 auf einem Eckgrundstück in der Seidmannsdorfer Straße fängt den Blick ein. Man muss respektvoll aufschauen zu dem Gebäude, das eher einer kleinen Burg ähnelt. Selbst die Nordseite zeigt sich repräsentativ. Um auf das fast 5000 Quadratmeter große Grundstück zu gelangen, muss ein mannshohes Gittertor durchschritten werden. Über eine mit Zinnen bewehrte Treppenanlage gelangt man in den Garten und über einen eleganten Rundweg schließlich an den Eingangsbereich. Einen erster Hinweis auf den Erbauer zeigt der Rundbogen über der Eingangstür. Pardon, der Begriff „Tür“ passt hier so gar nicht, denn tatsächlich handelt es sich eher um ein Portal. Im ursprünglichsten Sinne in Stein meißeln lassen hat sich dessen Erbauer: „CK“, Carl Kleemann, Staatsanwalt und später Amtsgerichtsrat.

Auch ein Oberbürgermeister und späterer Bundesjustizminister verbrachte hier seine Kindheit. Wolfgang Stammberger, dessen Vater Karl der Hausjurist des Herzogshauses war, wurde 1953 für die FDP in den Bundestag gewählt. Nur ein Jahr lang gehörte er dann später der Bundesregierung an. Bereits im November 1962 trat er im Zuge der Spiegelaffäre um Franz Josef Strauß von seinem Amt zurück. Seine spätere Amtsnachfolgerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist im übrigen seine Nichte. Bemerkenswert. Hier in der Seidmannsdorfer Straße muss die Familie einst unbeschwerte Tage genossen haben. Es wird von Hausmusikabenden berichtet und der reichen Ernte von Obst und Gemüse, welche in den weitläufigen Vorratskellern eingelagert wurden. Der südliche Teil des Gartens zum Friedhof hin stellte also die Versorgung der Familie auch in Notzeiten sicher. Sogar einen Hühnerstall und einen Taubenschlag gab es einmal.

Nicht nur der parkähnliche Garten erfreute mit seinem Grün. Auch im Haus züchtete und pflegte die Hausherrin im großzügigen Wintergarten ihre Kakteen und Sukkulenten. Bis zu einem besonders strengen Winter Mitte der 30er Jahre. Nachdem aufgrund einer Umbaumaßnahme die Heizung abgestellt werden musste, wurde es auch den exotischen Pflanzen im Haus zu kalt. Zum Leidwesen der Hausherrin überlebten die meisten Kakteen diesen Kälteeinbruch nicht und verwandelten sich in unansehnlichen Pflanzenmatsch. Nachdem ihr Mann Karl im Krieg gefallen war, konnte die Witwe, deren beide Söhne mittlerweile studierten, das riesige Anwesen und die erforderlichen Reparaturen nicht mehr bestreiten. Erschwerend dazu kam noch das Lastenausgleichsgesetz von 1952, eine Vermögensabgabe vor allem auf Immobilienbesitz. Die Not in Nachkriegsdeutschland war groß, Flüchtlinge mussten aufgenommen, das Land wieder aufgebaut werden. Und alle, die konnten, mussten einen finanziellen Beitrag dazu leisten. Schweren Herzens verkaufte die Familie Stammberger ihre Burg an den Fabrikanten von Werkzeugmaschinen Johann Gemmer.

Dem Geschäftsführer des Presswerkes Helios im thüringischen Heldburg gelang es nach Kriegsende jedoch nicht, die Maschinen rechtzeitig aus der russisch besetzten Zone zu holen. So wurde die Firma und alles was dazu gehörte konfisziert und war verloren. Auf diese Weise wurde die Villa in der Seidmannsdorfer Straße ein Rückzugsort, um nach diesen unruhigen Jahren endlich zur Ruhe zu kommen. Noch heute ist die Burg im Besitz der Familie und erstrahlt seit der Sanierung 2016 in neuem alten Glanz. Auf jeder der drei Etagen wohnen Familienmitglieder und füllen die Villa mit Leben. Zuletzt auch der Enkelsohn der heutigen Besitzerin Annemarie Gemmer, der sich in der Turmwohnung unterm Dach mit Ausblick auf die Veste auf seine bevorstehenden Prüfungen vorbereitete.


Häuser, die mit Unterstützung der Gemeinschaft Stadtbild Coburg e.V. saniert worden sind – der COBURGER stellt sie vor: 2019 in jeder Ausgabe des COBURGER eines in unserer Reihe „Hier wohnte“.


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