
Das Tor zum Süden
Manchmal führt eine Reise nicht nur über Alpenpässe und durch Tunnel, sondern auch zu einem Gefühl von Leichtigkeit, das man kaum erwartet hatte. Wer von Coburg nach Bozen aufbricht, reist nicht nur rund sieben Stunden mit dem Zug – oder, je nach Verkehrslage, auch schneller mit dem Auto – in den äußersten Norden Italiens. Man reist in eine Stadt, in der sich Kulturen nicht nur begegnen, sondern ineinander übergehen: deutsch und italienisch, alpin und mediterran, bodenständig und leichtfüßig. Bozen ist kein Ort der Gegensätze, sondern einer der Verbindungen. Zwischen Sprachräumen, Jahreszeiten, Lebensarten. In den Gassen der Altstadt mischt sich das Läuten der Kirchturmglocken mit dem Stimmengewirr auf der Piazza delle Erbe, während über den Dächern bereits das milde Licht Südtirols liegt. Wer hier ankommt, merkt schnell: Die Stadt will nicht beeindrucken, sie will einladen. Zum Schauen, zum Schlendern, zum Innehalten. Und zum Verstehen, dass es Orte gibt, an denen Geschichte nicht wie eine Last auf der Gegenwart liegt, sondern sie bereichert. Bozen erzählt keine Heldensagen – es erzählt Alltagsgeschichten. Vom Handel, der einst das Stadtbild prägte, vom Wein, der hier seit Jahrhunderten wächst, von Menschen, die gelernt haben, mit Vielfalt zu leben. Wer durch die Laubengänge geht, die schon seit dem 12. Jahrhundert den Schatten der Händler waren, spürt etwas von dieser stillen Selbstverständlichkeit. Vielleicht ist es gerade diese Mischung aus Offenheit und Verwurzelung, aus Bergnähe und Italiensehnsucht, die Bozen so besonders macht. Eine Stadt, die nicht laut ruft , sondern freundlich winkt – und der man gerne folgt.
LÄSSIGE EINKAUFSTOUR
Bozen ist kein Ort, den man besucht – Bozen ist ein Ort, in dem man flaniert. Und zwar mit Genuss. Zwischen Laubengängen und Markständen, unter Zinnen und Zwiebeltürmen, durchzieht den Stadtkern ein südlich-nordischer Charme, der sich so lässig gibt wie ein Aperol im Spätnachmittagslicht. Die berühmte Laubengasse ist dabei nicht einfach nur eine Einkaufsstraße, sondern ein Laufsteg der Geschichte. Seit dem 12. Jahrhundert wird hier unter Bögen gehandelt – heute mit Mode, Feinkost, Lederwaren oder italienischem Design. Ein paar Schritte weiter, auf dem Obstplatz, offenbart sich Bozen als Marktstadt par excellence.
Zwischen duftenden Kräutern, speckigem Südtirol und handverlesenen Äpfeln wird hier nicht nur eingekauft , sondern verhandelt, verkostet und palavert – ganz wie es sich für eine Handelsstadt gehört, in der sich seit Jahrhunderten die Wege aus Nord und Süd kreuzen. Wer den Trubel verlässt, landet in stillen Seitengassen wie der Mustergasse oder der Bindergasse, wo kleine Galerien, Antiquitätenläden und Cafés versteckt liegen – Oasen für Entdeckerseelen. Und natürlich führt jeder Weg irgendwann zum Waltherplatz – Bozens Wohnzimmer mit Blick auf Dom und Dolomiten. Wer hier nichts findet, was ihm gefällt, hat wahrscheinlich vergessen, die Augen aufzumachen.
LEHRREICHE MUSEEN
In Bozen hat selbst der Putz Geschichte – und wer zwischen Kirchen, Burgen und Museen unterwegs ist, begegnet ihr auf Schritt und Tritt. Die Stadt ist ein Mosaik aus Epochen, gebaut aus romanischem Ernst, gotischem Stolz und barocker Lust am Glanz. Mächtig und anmutig zugleich erhebt sich der Bozner Dom über den Waltherplatz – ein Meisterwerk der Gotik mit filigranem Turm und Fresken, die Geschichten erzählen, lange bevor es Zeitungen gab. Nicht weit davon liegt Schloss Maretsch, ein Renaissance- Juwel mitten in der Stadt, das mit seinen Türmchen und Weinranken wirkt wie aus einem Märchenbuch gefallen. Noch spektakulärer: Schloss Runkelstein, das auf einem Felsen über der Talfer thront und die wohl größte profane Freskensammlung des Mittelalters beherbergt – Ritterromantik inklusive. Und dann ist da der Mann mit dem Eispickel: Ötzi. Im Südtiroler Archäologiemuseum liegt der berühmteste Gletscherfund der Welt hinter Panzerglas – mitsamt Pfeilen, Fellumhang und Geschichten über ein Leben vor 5000 Jahren. Zeitgenössischer wird’s im Messner Mountain Museum Firmian auf Schloss Sigmundskron. Hier hat Reinhold Messner ein Denkmal für die Berge errichtet – nicht mit Pathos, sondern mit Demut und Weitblick. Bozen ist eben nicht nur schön, sondern auch gebildet. Und jeder Besuch gleicht einer Zeitreise – ohne Jetlag, dafür mit Tiefgang.
ATEMBERAUBENDE AUSBLICKE
Kaum hat man das letzte Croissant in der Bozener Altstadt verspeist, beginnt das Abenteuer – denn rund um die Stadt liegt ein Naturkino, das seinesgleichen sucht. Für Wanderer, Radfahrer, Genießer und Gipfelträumer ist das Umland von Bozen ein Versprechen: auf Weite, Aussicht und stille Wunder. Wer den Rosengarten, diesen verzaubernden Blick auf die Dolomiten beim Wandern sieht, versteht, warum Sagen hier Wurzeln schlagen. Der Sage nach blüht er nur in leuchtenden Farben, wenn König Laurins Fluch ruht – und tatsächlich glühen seine Felswände in der Abendsonne wie ein offenes Geheimnis. Wanderwege schlängeln sich durch Almwiesen und Wälder, führen zu urigen Hütten und weiten Höhen. Radfahrer finden rund um den Kalterer See eine Route für jede Laune: Genussradeln durch Weinberge, ambitioniertes Strampeln bis zum Mendelpass oder einfach eine Abkühlung im See. Das Wasser funkelt, als hätte der Himmel selbst ein Auge darauf – und das Eis in der Hand schmilzt schneller als der Blick sich sattsehen kann.
Nicht verpassen: die Erdpyramiden am Ritten, bizarre, fast außerirdisch wirkende Naturgebilde, die zwischen Lärchen und Legenden stehen – leicht erreichbar mit der Rittner Bahn oder Seilbahn von Bozen aus. Und dann ist da noch die Seiser Alm, Europas größte Hochalm, die sich ausrollt wie ein Teppich zwischen Himmel und Erde – mit Wanderwegen, die so sanft beginnen, dass selbst Stadtfüße Lust auf Berge bekommen. Bozens Umland? Ein Freilufttheater, in dem jeder Schritt Applaus verdient.
GENUSSVOLLE ABENDE
Wer in Bozen hungrig bleibt, ist selbst schuld – oder mit verschlossenen Sinnen gereist. Denn hier tischt die Stadt auf, was ihre Lage verspricht: eine Liaison aus alpiner Bodenständigkeit und italienischer Lust am Genuss. In den traditionellen Wirtshäusern gibt’s Schlutzkrapfen, Knödel und ein zünftiges Gulasch – serviert mit einem Lächeln, das zwischen Berghütte und Piazza changiert. Aber Bozen kann auch anders: kreativ, leichtfüßig, modern. Kleine Bistros und gehobene Restaurants servieren Südtiroler Küche mit mediterranem Dreh. Wer’s besonders gut meint mit sich, lässt sich im „Laurin“ nieder, wo Holzvertäfelung auf Haute Cuisine trifft – oder schlendert zur Talferbrücke, wo junge Gastronomiekonzepte mit viel Geschmack experimentieren. Und was trinkt man dazu? Bierfreunde finden in Bozen ihre Zuflucht bei Batzen Bräu, einer Brauerei mit Wirtshausflair, die Hopfen mit Haltung serviert. Wer lieber auf Wein setzt, wird fast zwangsläufig zum Genießer: Lagrein, Vernatsch, Gewürztraminer – die Namen allein klingen schon wie ein Abend auf der Terrasse. Und am Ende? Ein Glas am Waltherplatz, wenn die Lichter der Stadt angehen und die Dolomiten ihren Schatten über die Dächer werfen. Oder die Party einläuten mit einem Spritz in der Abendsonne der legendären Fischbänke. Dann weiß man: Der Geschmack von Bozen – der bleibt.
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