Sonderthema Ressourcen: Interview mit Prof. Dr. Günter Dippold #58

„Es geht nur, wenn sich die Menschen einbringen“

Zum Gespräch über Heimat wählt Bezirksheimatpfleger Prof. Dr. Günter Dippold die Maintalterrasse auf Kloster Banz. Hier kann man erahnen, wie der Begriff „Gottesgarten“ entstanden ist. Hier kann man überblicken, wie die Landschaft zerschnitten und zersiedelt wird. Hier ist Dippold jedes mal beeindruckt. Und er kennt den Ort: Acht Jahre in der Geschichte des Klosters standen hier zwei Kirchen nebeneinander. Die alte wich, dafür entstanden der Bau für die Mönche – und die Maintalterrasse.

COBURGER: Was ist denn Heimat, Herr Dippold?

Heimat hängt an einer Örtlichkeit, einem Ort, einer Straße. Heimat gibt es auch im Plural. Lichtenfels ist meine Heimat, der Obermain ist meine Heimat, Franken ist meine Heimat – auch sprachlich. Heimat hat mit Vertrautheit und Verantwortung zu tun. In meiner Heimat kenne ich mich aus. Ich verstehe sie und ich werde verstanden. Ich kann Ursache und Wirkung zuordnen. In meiner Heimat kann ich mich nicht verstecken. Und Heimat ist dort, wo es besonders weh tut, wenn es schief geht. Es gibt also viele Aspekte.

COBURGER: Nehmen wir den Aspekt Ressource.

Da ist Heimat wichtig. Die Welt wächst zusammen, alles wird globalisiert. Da brauche ich meine Heimat, in der ich den Raum noch überschauen kann. Heimat ist mein Anker – ich bräuchte kein Schiff , wenn es immer nur am Anker läge. Heimat ist der Ankerplatz. Jede und jeder gehört auch mal raus. Geistig und körperlich. Heimat ist der Ort, wo ich hinkommen kann, mich auskenne. Das ist der immaterielle Teil der Ressource Heimat. Dazu kommt natürlich der materielle, greifbare. Das ist das Gesicht oder Profi l des Ortes. Die Veränderungen sollen also nicht überhand nehmen, damit ich meinen Ort wiedererkenne. Das Zentrale aber sind die Menschen und die menschliche Gemeinschaft . Die Häuser machen die Heimat nicht aus. Die Gemeinschaft ist es und die gemeinsamen Aufgaben mit gemeinsamen Zielen.

COBURGER: Wie sieht die Verantwortung für die Heimat aus?

Das hat viele Schichten. Zum Beispiel ist es der Umgang mit dem, was wir haben. Warum reißen wir Bestandsgebäude ab, anstatt sie zu sanieren? Das vernichtet Ressourcen – auch energetisch. Der Betrieb eines Hauses ist der kleinere Teil des Energieverbrauchs – der größere steckt im Bau. Eine stärkere Kultur des Reparierens wäre ein wesentlicher Beitrag zur Energiewende. Zur Verantwortung gehören auch die regionalen Wirtschaftskreisläufe. Wenn Waren quer durch Europa gefahren werden, kann das nur vordergründig für den einzelnen günstiger sein. Für die Gesellschaft ist es das sicher nicht. Was gestrig klingt, ist dabei der Schlüssel: Genossenschaft en sind Organisationen, in denen sich Gleichgesinnte zusammentun. Sie haben ein gemeinsames Ziel, und natürlich darf eine Genossenschaft auch Geld verdienen. Bei der regenerativen Energie funktioniert das zum Beispiel. Und Sie sehen auch hier: Es geht nur, wenn die Menschen sich einbringen. Da spielen unsere Vereine eine wichtige Rolle. Wir brauchen Leute, die etwas tun, um gesellschaftlich etwas zubewegen, egal ob in Sport oder Kultur…

COBURGER: Sie sind selbst Vorsitzender eines Vereins, dem Colloquium Historicum Wirsbergense, einer der größten Geschichtsvereine. Wie bringt man die Menschen dazu, sich für ihre Heimat zu engagieren?

Ich versuche es mit niederschwelligen Angeboten. Führungen im Sommer, bei denen man einfach dazustoßen kann oder Online-Vorträge, wo sich jeder auch ausklinken kann, ohne dass es auffällt. Viele Menschen tun so, als ob sie sich entscheiden könnten zwischen Lust und Pflicht. Beides gehört zusammen. Ein Leben ohne Verpflichtung funktioniert nicht. Jeder einzelne muss sich öffnen, auch für andere Themen zugänglich sein – und vor allem miteinander reden. Ohne Kommunikation gibt es keine Heimat.

COBURGER: Sie sind Bezirksheimatpfleger. Wie pflegt man denn die Heimat?

Genau an diesem Punkt: Wir müssen Menschen zusammen bringen. Wenn die Wirtshäuser sterben, geraten auch die Vereine in Schwierigkeiten, die sich dort getroffen haben. Wir brauchen Orte und Gelegenheiten für Kommunikation. Die müssen wir pflegen und schaffen.

COBURGER: Wie nutzen Sie selbst die Ressource Heimat?

Indem ich runterkomme – zum Beispiel an diesem Ort hier. Ich bin jedes Mal wieder berührt. Indem ich Leute treffe – auch ganz unspektakulär, einfach nur zusammen sitzen und ein Bier trinken. Indem ich mich gemeinsam mit anderen in die Pflicht nehmen lasse. Oder indem ich an vertrauten Orten mich anderen Ansichten aussetze, zuhöre, mich mit ihnen beschäftige. Das macht mich reicher. Ein kritischer Diskurs ist etwas Wunderbares. Ja-Sager machen mich ärmer.

Das Gespräch führte Tim Birkner.

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