Wasserstoff ist Zukunft #1

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von Tim Birkner | Fotos: Tim Birkner, Rießner-Gase

Die ganze Welt der Gase

Ein paar Container, ein paar Rohre, ein lila Schlauch. Die Anlage der WUN H2 sieht unspektakulär aus. Wenn Dr. Thilo Rießner über das Gelände führt, dann wird klar: Hier ist die Zukunft zuhause. Es geht um viel. Wie sollen Güter künftig transportiert werden, womit können Bagger, Pistenraupen oder Glaswannen betrieben werden? „Wir glauben, dass Wasserstoff dieser Energieträger wird“, sagt Thilo Rießner. Er leitet zusammen mit seinem Bruder Hans-Georg die Rießner-Gase in Lichtenfels. Die Beteiligung an der WUN H2 ist das größte Investment in der Firmengeschichte.

Die Idee ist einfach: Wenn irgendwo Strom übrig ist, wird er aufgehoben für Zeiten, in denen zu wenig produziert wird. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind wird dieser Unterschied immer größer. In einem Elektrolyseur wie in Wunsiedel kann der überflüssige Strom in Wasserstoff umgewandelt werden. „Anlagen in dieser Größenordnung gibt es momentan ein paar wenige in Deutschland“, sagt Geschäftsführer Dr. Thilo Rießner. Er ist zusammen mit Siemens und den Stadtwerken Wunsiedel ein Pionier. Im PEM (Protonen Austausch Membran)-Elektrolyseur wird Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Strom liefert die nötige Energie dazu. Rießner zeigt auf armdicke Aluminium-Schienen, geschützt von einem Zaun. „Hier fließen bis zu 7000 Ampere bei 700 Volt.“ Proton für Proton wird durch eine Membran aus dem Wasser gezogen und auf der anderen Seite mit Elektronen zu Wasserstoff zusammengesetzt.

Das ganz Kleine und das ganz Große liegen in Rießners Anlage dicht nebeneinander. Wenn sie 24 Stunden am Tag Wasserstoff produziert, könnten damit rund 100 LKW einen Tag lang unterwegs sein oder 40.000 LKW-Kilometer zurückgelegt werden, rechnet Rießner vor. Wasserstoff ist der Lichtblick auf dem Markt der Energieträger. Gleichzeitig stabilisieren Anlagen wie die in Wunsiedel das Stromnetz, indem sie die Produktionsspitzen abpuffern. Für Rießner-Gase ist Wasserstoff die Erweiterung der Produktionstiefe. „Bislang haben wir mit Gasen gehandelt, sie gemischt oder gereinigt – jetzt stellen wir mit Wasserstoff in weiteres Gas selbst her. CO2 gewinnen wir bereits in Schwarzenfeld aus einer biogenen Anlage, in der Abwässer aufbereitet werden und daraus dann CO2 abgeschieden wird – damit kommt es nicht in die Atmosphäre und kann ein weiteres Mal verwendet werden. Auch das ist ein Umweltaspekt“, so Rießner.

Doch auch der Wasserstoff muss erst einmal dorthin kommen, wo Energie gebraucht wird. Rießners Lösung ist der Transport in Wechselbrücken. Elf Stück hat er inzwischen, außen sehen sie aus wie ganz normale Container, innen ist Gasflasche an Gasflasche gereiht und das System miteinander verbunden – ähnlich wie auch Batterien aus vielen einzelnen Zellen bestehen. Der lila Schlauch ist die Verbindung zwischen der Anlage und dem Container. Bis zu 500 bar hält er aus. „Momentan betanken wir mit 300 bar. Das dauert rund drei Stunden“, sagt Rießner. Technisch ginge es auch schneller, doch dann wird die Temperatur an den einzelnen Kohlefaser-Gasflaschen zu hoch.

Die Abfüllplätze hat Rießner zusammen mit einem Anlagenbauer entwickelt. „Das ist unsere Kompetenz. Bislang gab es das in dieser Form noch nicht.“ Vier LKW mit jeweils zwei Wechselbrücken können nebeneinander befüllt werden. Jeder Platz ist für einen bestimmten Fülldruck ausgelegt. Der Fahrer schließt den lila Schlauch an seine Wechselbrücke an. Sensoren kontrollieren, ob die Verbindung sicher ist. Vollautomatisch läuft dann die Befüllung. Das Rolltor vor dem LKW öffnet sich erst dann, wenn der Schlauch wieder zurück gehängt wurde. „Damit verhindern wir, dass der Fahrer aus Versehen losfährt, wenn der Container noch verbunden ist“, sagt Rießner.

Schon heute liefert Rießner den Wasserstoff an Nutzfahrzeughersteller, die ihre Prototypen oder Prüfstände damit betreiben. Auch Mineralölkonzerne, die ein Tankstellennetz aufbauen, beziehen Wasserstoff von ihm. Nicht zuletzt werden aktuell erste Brennstoffzellen LKW in Niederbayern mit Rießner-Wasserstoff betrieben. „Nach wie vor beliefern wir natürlich auch unsere Kunden in der Industrie mit Wasserstoff. Chemisch ist das der gleiche wie seit jeher, doch die Erzeugung ist jetzt grün.“ Wenn alles gut läuft, kann die Anlage auf dem Gelände in Wunsiedel von ihrer Größe verdoppelt werden. Bei der momentanen Nachfrage sieht es ganz danach aus – die Zukunft ist zum Greifen nah.

„Nahezu jedes Unternehmen braucht an irgendeiner Stelle seines Produktionsprozesses ein technisches Gas“, schildert Verkaufsleiter Norbert Schindler. So zählen fast alle Branchen zu seinen Kunden. Die Lebensmittelindustrie braucht Stickstoff zum Verpacken von Chips. Nur so bleiben sie knusprig. Die Brauereien benötigen Kohlendioxid im Abfüllprozess. Auch im Brandschutz ist das Gas unersetzlich. „Eine vorhandene eigene CO2-Erzeugung in Frankfurt gewinnt Kohlendioxid aus einer Vinylacetat- Herstellung, welches vor allem in Farben und Klebern zum Einsatz kommt, und vermeidet damit, dass CO2 in die Atmosphäre gelangt. Der Umweltgedanke begleitet uns bei jedem Schritt“, sagt Schindler. Sauerstoff wiederum wird in der Aufzucht von Fischen verwendet oder erhöht den Wirkungsgrad von Kläranlagen. Nicht zuletzt benutzt man Argon zum Schutzgasschweißen oder als Plasmagas. Auch Helium wird nicht nur als Füllgas für Luftballons verwendet, sondern zudem z. B. noch als Kühlmittel für supraleitende Magneten, zum Beispiel in Kernspintomografen. Rießner beliefert all diese Branchen in der südlichen Hälfte Deutschlands und in Berlin.

Wer heute Metall schneidet, braucht Stickstoff. „Der Laserstrahl wird von Gas umhüllt. Dadurch streut er weniger – möglichst viel Energie kommt so am Schnittpunkt an“, erklärt Schindler. Je reiner die Umgebung ist, in welcher der Laserstrahl geführt wird, desto geringer der Leistungsverlust. Weiterhin dient Stickstoff oder Sauerstoff als Schneidgas. Diese Technologie hat sich in den vergangenen Jahren durchgesetzt. Rießner-Gase konzipiert dafür Tank und Anlage bei dem jeweiligen Industriebetrieb und liefert natürlich den hochreinen Stickstoff. Der Übergabepunkt ist unmittelbar an der Maschine. „Konzeption und Installation dieser Anlagen ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit“, so Schindler.

Auch im medizinischen Bereich sind Gase notwendig, vom Sauerstoff zur Beatmung bis hin zu Trägergas bei Narkosen. Ob zur diagnostischen und therapeutischen Anwendung, bei der Blutgasanalyse oder im Labor – Gase sind für den Einsatz in der Medizin eine absolute Notwendigkeit. „Ein Lungenfunktionsgas gibt es nur bei uns. Das hat sonst niemand“, sagt Schindler. In kleinen Flaschen wird es europaweit versandt. Gerade hat Geschäftsführer Dr. Thilo Rießner einen Bewerber für die Qualitätssicherung nach dem Gespräch zum Bahnhof gefahren. „Sieht gut aus“, sagt er. Er freut sich, wenn die Faszination, die ihn antreibt, auch andere ansteckt. „Ob Anlagenbau, Vertrieb oder Labor, ob Fachkräfte oder Auszubildende, wir suchen immer neugierige Menschen, die etwas Sinnvolles tun wollen.“ Mehr Informationen unter: riessner.de/de/unternehmen/karriere

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