Zwa im Brödla #72

Weihnachtsstollen am FKK-Strand

Von Roland Spranger

Weihnachten greift dich dann an, wenn du am wenigsten damit rechnest. Bei mir ist es Ende August soweit gewesen. Ich habe mich dagegen gewehrt, so gut ich konnte, aber na ja… Weihnachten gewinnt immer.

Doch von Beginn an: An einem richtig heißen Sommertag war ich zu einer ausgiebigen Radtour aufgebrochen. Immer schön durch die oberfränkische Mittelgebirgslandschaft. Gefühlt mehr bergauf als bergab. Verschwitzt legte ich eine Pause an der FKK-Zone meines Lieblings-Badesees ein. Ich rein ins Wasser. Schön kalt. Im ersten Moment wie Rasierwasser auf der ganzen Haut. Danach raus aus dem Wasser und mit geschlossenen Augen im Gras liegend sonnentrocknen lassen. Mit geschlossenen Augen im Gras liegend offenbaren sich die Nachteile der FKK-Zone.

Es gibt einen Typen, der unglaublich laut spricht – und wenn ich „laut“ sage meine ich „laut laut“. Der hat zu allem eine Meinung. Zu wirklich allem. Man kann gar nicht genug Sonnencreme in die Ohren schmieren, um sich vor der lauten Stimme des FKK-Alleinunterhalters in Sicherheit zu bringen. Selbst sehr zähflüssige Sonnencreme mit Schutzfaktor 50 hilft nicht. Schwachsinn kommt halt doch überall durch. Da kannst du nix machen.

Gerade als ich mich mit einem dezent meditativen Schlummerzustand angefreundet hatte, ertönte der Hallo-Wach-Ruf: „Ho Ho Ho! Weihnachtsstollen!“ Vorsichtig öffnete ich die Augenlider. Halb. Bloß nicht zu viel Aufmerksamkeit vortäuschen. „Jemand Weihnachtsstollen?“ Schon war der Typ durch die nackten Leiber unterwegs und verteilte Weihnachtsstollen.

Ein schneller Blick, um abzuschätzen, wie weit mein Fahrrad entfernt stand und die anderen Fluchtwege zu sondieren. Um über den Wasserweg zu entkommen, schwimme ich nicht gut genug. Unnachgiebig wurde der Stollen verteilt. Als der lebende Lautsprecher bei mir ankam, hielt er mir ein Stück Weihnachtsstollen direkt vor die Nase. Fett Rosinen und Orangeat. Dahinter baumelte sein Penis. Es gibt Dinge, die will man sich nicht zu Essen vorstellen. „Danke, nein.“ Der FKK-König schaute mich vorwurfsvoll an. „Willst du wirklich Außenseiter sein?“ Vorsichtig schaute ich mich um. Lauter nackte Leute, die weihnachtstollenkauend in meine Richtung glotzten. „Für mich ist das voll okay“, erklärte ich. „Außenseiter und so.“ Der braungebrannte Typ schaute mich verständnislos an. „Eine frühkindliche Störung“, sagte ich entschuldigend. „Ich mag einfach keinen Stollen. Er liegt mir wie Beton im Magen und hinterher bekomme ich davon Pickel.“

Die Augenbrauen des FKK-Lautsprechers zogen sich bedrohlich zusammen. „Bist du etwa einer von diesen Anti-Weihnachts-Bolschewiken?“ Ich zuckte hilflos mit den Schultern. Wenn du nackig bist, schaut es besonders hilflos aus, wenn du mit den Schultern zuckst. Vor allem, wenn ein Zweieinhalb-Zentner-Mann über dir steht. Scheiße, dachte ich, hoffentlich lässt sich der Typ nicht auf dich fallen. „Ich hab wirklich keine vorweihnachtlichen Hungergefühle. Außerdem wollte ich gerade gehen.“

„Iss!“ Die Rosinen waren jetzt sehr nah vor meinen Augen. Tastend suchte ich meine Unterhose. „Iss!“ brüllte der Weihnachsstollen-Fanatiker und startete sofort den Versuch, das Backwerk in meinen Mund zu pressen. Das Orangeat blieb in meinen Brusthaaren hängen, während die Rosinen auf mein Gemächt runterpurzelten. Natürlich wehrte ich mich. Aber so eine Auseinandersetzung zwischen nackten, eingecremten Männerkörpern ist kein Kindergeburtstag. Man kriegt den anderen nirgendwo zu fassen. Jedenfalls nicht an gesellschaft lich anerkannten Stellen.

Natürlich haben die bei der antiken Olympiade auch nackt gekämpft – aber im klassisch Griechisch-Römischen-Stil wird ja der ganze Unterkörper ausgeblendet. Wenn du dich mit einem wütenden Kerl aus einer anderen Gewichtsklasse über den Rasen wälzt, verschwimmen solche Feinheiten. Ich konnte den perfekten Griff setzen. Die Körperstelle kannte mein Gegner bis dahin gar nicht… Aufspringen und rennen. Ich erreichte das Fahrrad vor der sonnengebräunten Zombie-Horde, die hinter mir her war. Ohne Unterhose nahm ich natürlich nicht den Weg über den Kinderspielplatz. Ich weiß ja, was sich gehört. Der Nachbarhund, der sonst immer kläfft , wenn ich vorbei fahre, glotzte nur blöd. Da begriff ich das erste Mal, dass ich mich erfolgreich gegen Weihnachten gewehrt hatte. Trotzdem wusste ich: Eine gewonnene Schlacht entscheidet noch nicht den Krieg.