Grenzerfahrungen: Stephan Welsch #59

Kunst, die Brücke schlägt

Stephan Welsch ist ein abstrakter Expressionist. Der Coburger verkauft seine Werke weltweit, obwohl er erst seit wenigen Jahren malt. Zur Kunst kam er über Umwege. Eine schwere Lebenskrise hat die Richtung gezeigt.

Leicht zu finden ist seine Wirkungsstätte nicht. Noch fehlt der Hinweis auf sein Atelier an der Eingangstür. Der 40-jährige Coburger arbeitet dort, wo früher Porzellan produziert wurde: in der Kulturfabrik auf dem Gelände der ehemaligen Porzellanfabrik in Cortendorf. Seine Werke sind ausdrucksstark, abstrakt und mit wenigen Farben gemalt. Bunte Bilder sind nur selten zu sehen. Es gibt hingegen Werke, die nur in Schwarz gemalt sind und durch eine bestimmte Technik wirken. Sind es Wellen im Wasser oder Bäume im Wind? Die Interpretation überlässt er den Betrachtern. Es geht dem Künstler auch nicht nur darum, etwas Schönes zu schaffen. Vielmehr möchte er die Fantasie anregen, das Innere und die Seele berühren. Das gelingt.

„Ich bin schon lange Künstler, weil ich glaube, dass das in einem steckt. Manche Menschen haben vielleicht das Glück, das Malen in der Kindheit zu entdecken, weil es Spaß macht. Andere entdecken es viel später. Bei mir war das im Jahr 2019.“

Stephan befindet sich im Jahr 2019 an einem absoluten Tiefpunkt. Die psychische Verfassung ist miserabel. Der letzte Ausweg ist, dringend einen Arzt aufzusuchen. Endlich wird vieles klar. Der Arzt diagnostiziert ADHS und Depressionen. Stephan fällt es schwer, über diese Zeit zu sprechen. „Man ist nicht depressiv, sondern man hat Depressionen. Was man hat, kann man auch wieder loswerden, auch wenn das nicht einfach ist“, sagte er.

Seine Geschichte beginnt Jahre vorher. Schon als Kind fühlt er sich oft fehl am Platz. Später überschatten Selbstzweifel und trübe Gedanken sein Leben. Er grübelt viel. Stephan weiß zu dieser Zeit nicht, warum es so düster in ihm aussieht. Er kann sich nicht beruhigen. Er hadert immer wieder mit sich selbst und versucht, das betäubende Gefühl zu verdrängen. „Ich wollte keine Schwäche zeigen, denn vielen Menschen geht es schlechter als mir.“ Bis es vor vier Jahren zu einem Kollaps kommt. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem er eigentlich glücklich sein sollte. Stephan ist verheiratet und hat einen Sohn, der zwei Jahre alt ist.

Nach einem langen Leidensweg begibt er sich in eine Therapie. Dort wird ihm klar, warum er sich sein ganzes Leben lang nicht wohlgefühlt hat. Er fängt an, zu malen. Ein erstes Bild entsteht. Es ist ein Aha-Erlebnis: „Als ich das Ergebnis gesehen habe, war es eins zu eins so, wie es in mir aussah. Es war, als würde man einen Spiegel vorgehalten bekommen. Eine war sehr intensive Erfahrung.“

„Wenn Du als Pinguin geboren wurdest, machen auch sieben Jahre Psychotherapie aus dir keine Giraffe. Also nicht lange hadern: Bleib als Pinguin nicht in der Steppe. Mach kleine Schritte und finde Dein Wasser. Und dann spring! Und schwimm! Und Du wirst wissen, wie es ist, in Deinem Element zu sein.“ Dr. Eckart von Hirschhausen

Dieses Zitat von Dr. Eckart von Hirschhausen bringe das Aha-Erlebnis auf den Punkt, sagt Stephan. Als seine Werke schnell Zuspruch finden, weiß er, dass er auf der richtigen Spur ist. „Es gibt keinen Punkt, an dem ich sagen kann, dass ich jetzt Vollzeitmaler bin. Letztendlich war es ein Prozess.“

Emotionen und Gedanken

Stephan betrachtet die Welt, legt sie auseinander und setzt sie in seinen Werken zusammen. Seine Bilder spiegeln sein Inneres wider. Durch die Kunst bringt er seine Emotionen und Gedanken zum Ausdruck. Der Künstler benutzt viele verschiedene Materialien und Techniken, um einen vielschichtigen und verschwommenen Effekt zu erreichen. Er greift zu Acrylfarben, Pastellkreiden und Kohlestiften. Die Leinwände bespannt er selbst.

„Für mich ist der Prozess der Schaffung eines Kunstwerks ein Mittel, um einen inneren Frieden zu finden, ein Gleichgewicht, das ich so lange gesucht habe.“

Klar komme da manchmal die Frage, ob er von seiner Kunst auch leben könne. Dies sei lediglich eine Definitionssache. „Der Künstlerberuf ist bekannt dafür, dass er immer wieder Höhen und Tiefen durchläuft. Es ist zweifelsohne eine herausfordernde Berufung, aber für die, die herausgefunden haben, was sie wirklich glücklich macht, gibt es kein Zurück mehr.“ Stephan verfolgt auch deshalb seine Leidenschaft mit aller Konsequenz, auch wenn es bedeutet auf viele Annehmlichkeiten und übermäßigen Konsum zu verzichten. Er schätzt sich glücklich, dass seine Frau und seine Familie ihm den Rücken stärken.

Ein kleiner, aber bedeutsamer Meilenstein

Eine tolle Bestätigung hat ihn erst kürzlich erreicht. Nach einer Achterbahnfahrt der Gefühle, nach einer Mischung aus Spannung und Nervenkitzel, erfährt er, dass er im Berufsverband der Bildenden Künstlerinnen und Künstler Oberfranken aufgenommen wurde. Mit der Aufnahme hat ihn die Fachjury offiziell als Künstler anerkannt. „Das ist eine Nachricht, auf die ich mit Herzklopfen gewartet habe. Für mich als Autodidakt ist das eine besondere Auszeichnung.“

Stephans Abnehmer leben in der ganzen Welt: USA, Luxemburg, Schweiz, Österreich oder Frankreich. Aufmerksam werden sie auf den Coburger Künstler durch seine Online-Galerie und Social Media. Heute weiß Stephan, dass sein vorheriger beruflicher Werdegang positiv in seine Kunst einfließt. Und: Letztendlich hat ihn der Tiefpunkt zur Kunst gebracht.

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