Gastbeitrag von Prof. Dr. Günter Dippold #1

Die Andechs-Meranier

Ein europäisches Fürstengeschlecht in Franken

Am 19. Juni 1248 starb auf seiner Burg Niesten bei Weismain Herzog Otto II. von Meranien aus dem Haus der Grafen von Andechs. Mit ihm starb ein Nachkomme von Kaisern und Königen von Mutterseite. Ebenso konnte sich die väterliche Verwandtschaft sehen lassen: Ein Onkel war König von Frankreich, ein anderer König von Ungarn. Seine eigene Herrschaft , wenn sie auch nicht geschlossen war, erstreckte sich von Istrien, Kroatien und Dalmatien über Kärnten und Tirol, über Bayern und Franken bis nach Burgund.

Herzog Otto II., der als Dreißigjähriger starb, sah sich bedrängt. Zumal im Stammland seiner Familie, in Bayern, erlitt er Niederlagen; dort schwand seine Macht zusehends.

Eine Chronik des 16. Jahrhunderts beschrieb ihn als schwachen Herrscher. Er habe „nur in wollusten“ gelebt, daher habe es ihm an Geld gefehlt. Auch die Geschichte, die sich die Nachwelt über seinen frühen Tod erzählte, zeichnete kein vorteilhaft es Bild: Ein Verhältnis mit der Frau seines Hofmeisters habe er gehabt, und der betrogene Ehemann habe ihn aus Rache ermordet. Es spricht wenig für dieses Gerücht, mehr für eine Krankheit.

Mit Bestimmtheit wissen wir, dass der Herzog mehrere Tage krank daniederlag und den Tod kommen spürte. An seinem Bett auf Burg Niesten fand sich der Abt des Klosters Langheim ein, einen Arzt hatte man geholt, Gefolgsleute und Dienstadlige scharten sich um den Sterbenden. Dieser sorgte für sein Seelenheil: Sechs Urkunden aus den letzten Lebenstagen, vom 15. bis zum 18. Juni 1248, sind erhalten. Er gründete ein Chorherrenstift in Burgund, und er bedachte die Klöster Banz und Langheim sowie das Stift Dießen.

Der Aufstieg der Andechser

Über Besitz um den Ammersee, um Wasserburg am Inn und in Tirol verfügten schon die Urahnen um die Jahrtausendwende. Die Familie spaltete sich in zwei Linien auf: nach der Burg Dießen nannte sich die eine – später nach Andechs –, nach Wolfratshausen die andere. Als die Grafen von Wolfratshausen 1157 ausstarben, gelang den Andechsern, den Besitz beider Linien wieder zu vereinen. Sie waren damit in Bayern eine der großen Familien, durchaus ebenbürtig den Wittelsbachern.

Durch Heiratsverbindungen erlangten sie im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts Besitz in Franken: erst um Coburg, dann um Kulmbach, schließlich um Lichtenfels und die Giechburg. Damit rückte die Familie gefährlich nahe an Bamberg heran. Der Bamberger Oberhirte – der, wie jeder Bischof, weltlicher Machthaber war – fühlte sich in seiner Interessensphäre bedroht. Es kam zu Kontroversen, die kriegerisch ausgefochten wurden. 1142 im Grund beigelegt, schwelten sie über Jahrzehnte weiter. Zugleich bauten die Andechser ihre Macht im Süden aus, an Inn und Ilz, im heutigen Niederbayern.

Das machtvolle Geschlecht erlebte unter Kaiser Friedrich Barbarossa einen raschen Aufstieg. 1173 wurden die Andechser zu Markgrafen von Istrien erhoben.

1180 entmachtete derselbe Kaiser seinen Cousin, Heinrich den Löwen, einen Welfen, den Herzog von Bayern und Sachsen. Die Herzogswürde von Bayern erhielt ein Wittelsbacher, Graf Otto von Scheyern. Um dieselbe Zeit erhob der Kaiser Berthold von Andechs zum Herzog von Meranien. „Meranien“ bezeichnete einen Landstrich im dalmatinischen Küstengebiet. Es handelte sich offenbar um eine Würde, mit der sich kaum Herrschaftsrechte vor Ort verbanden. Aber der Andechser war nun Herzog, wie der Wittelsbacher. In der Tat mag es Barbarossa darum zu tun gewesen sein, die Gleichrangigkeit beider Familien zu verdeutlichen. Die Konkurrenz zwischen Wittelsbachern und Andechsern war wahrscheinlich gewollt.

Auch in der Reichskirche kam die Familie voran. Otto von Andechs erlangte die Würde eines Propstes des Marienstift s in Aachen, 1165 dann das Bischofsamt von Brixen, wo er sich dort aber wohl nicht recht durchsetzen konnte. 1177 wählte ihn das Bamberger Domkapitel zum Bischof von Bamberg. Bis 1245 saßen, mit kurzen Unterbrechungen, Andechser auf dem Bamberger Bischofsstuhl.

Mit einem Mal wich die Konfrontation zwischen den Grafen von Andechs und der Bamberger Kirche einer Kooperation. Von diesem Miteinanderprofitierten die Grafen. Denn Bischof Otto II. bedachte bevorzugt seinen Bruder, wenn der Bamberger Kirche Lehen heimfielen, wenn also eine Familie, die Bamberger Kirchenlehen besaß, im Mannesstamm ausstarb. So kamen beispielsweise um 1190 Burg und Herrschaft Niesten an die Familie.

Auch das Zisterzienserkloster Langheim, einst als Bollwerk gegen das Vordringen der Grafenfamilie gegründet, gelangte unter den Einfluss der Andechser. Sie beschenkten es reich. Ab 1231 wurden die Mitglieder der Familie in der dortigen Klosterkirche beigesetzt, nicht mehr wie zuvor in der Stiftskirche von Dießen.

Franken wurde zunehmend Kernland der Familie. Hier dehnten sie Macht und Einfluss aus. So griff en sie im frühen 13. Jahrhundert ins Regnitzland, das Gebiet um Hof a. d. Saale, aus.

Eheverbindungen wiesen weit über das eigene Einflussgebiet hinaus. Herzog Berthold I. verheiratete eine Tochter mit König Andreas von Ungarn; ihre Tochter war die hl. Elisabeth von Thüringen. Eine andere Tochter gab der Herzog dem französischen König zur Frau, eine dritte dem Herzog von Schlesien. Letztere, Hedwig, starb 1243 im Ruf der Heiligkeit und wurde 1267 dann tatsächlich heiliggesprochen. Die Andechserin Hedwig (polnisch Jadwiga) gilt bis heute als Schutzheilige Schlesiens.

Binnen weniger Jahrzehnte waren die Andechser aufgestiegen von einer Grafenfamilie – mit ansehnlicher Machtbasis immerhin – zum Fürstengeschlecht von europäischem Rang.


Die Giechburg mit dem meranierzeitlichen Bergfried
Lithografie von Sebastian Scharnagel, 1821 (Staatsbibliothek Bamberg, V.C.68, Foto: Gerald Raab)

 

Höhepunkt und Bruch

Der Aufstieg schien sich fortzusetzen. In Bamberg, wo mittlerweile der Andechser Ekbert auf dem Bischofsstuhl saß, heiratete sein Bruder, Herzog Otto I. von Meranien, am 21. Juni 1208 eine Stauferin. Diese Verbindung mit Beatrix, einer Enkelin Barbarossas. war ebenso ehrenvoll wie einträglich. Die Braut war die einzige Tochter des verstorbenen Pfalzgrafen von Burgund, und mit dessen Pfalzgrafschaft belehnte König Philipp, ein Onkel der Braut, nun den Bräutigam.

Noch am selben Tag – das Brautpaar war in Richtung Burgund abgereist – wurde König Philipp in Bamberg ermordet. Otto von Wittelsbach, ein Cousin des Bayernherzogs, führte die Tat aus. War es ein privater Racheakt, verübt von dem durch eine aufgelöste Verlobung brüskierten Täter? Die Zeitgenossen vermuteten mehr, einzelne Historiker sprechen von Staatsstreich. Der Verdacht wurde laut, Bischof Ekbert und Markgraf Heinrich von Istrien, die beiden Brüder des Bräutigams, seien Mitwisser der Tat gewesen. Zu Recht? Oder nichts als Verleumdung? Wir wissen es nicht. Beide wurden geächtet und mussten fliehen, auf Jahre hinaus.

Am Tag des höchsten Triumphs begann der Niedergang. Herzog Otto I. konnte das Erreichte noch wahren. Doch sein Sohn, Herzog Otto II., geriet in die Defensive, zumal in Bayern. Der bayerische Herzog aus dem Haus Wittelsbach bedrängte ihn. Markgraf Heinrich von Istrien, sein Onkel, war mit den Grafschaft en Andechs und Wolfratshausen belehnt. Er starb 1228 kinderlos. Mit Herzog Otto I. legten sich die Wittelsbacher offenbar noch nicht an. Aber als auch er 1234 starb, da versuchte der Bayern Herzog, die beiden Grafschaft en als heimgefallene Lehen einzuziehen. Krieg war die Folge, und das Kriegsglück lag bei den Wittelsbachern. Die Andechs-Meranier wurden zusehends aus Bayern hinausgedrängt.

Herrschen im Mittelalter

Wie herrschte ein Geschlecht, zumal über Gebiete, die hunderte Kilometer auseinanderlagen?

Es gab keine Hauptstadt. Ähnlich wie der König regierte der Meranier-Herzog gleichsam aus dem Sattel. Er zeigte Präsenz in den unterschiedlichen Landesteilen.

Wesentliche Stütze der Herrschaft waren die Ministerialen der Familie. Das waren Unfreie, doch mit herausgehobenen Aufgaben betraut. Aus ihnen entwickelte sich im Lauf der Zeit die Ritterschaft . Die Ministerialen waren berittene Berufskrieger, und sie saßen auf Burgen, von denen aus sie Verwaltungsaufgaben wahrnahmen oder das Land sicherten oder Fernstraßen überwachten.

Ihre Burgen, oft im Tal, bestanden aus einem aufgeworfenen Erdhügel, von einem Wassergraben und Holzpalisaden umgeben, oben auf dem abgeflachten Hügel ein hölzerner Wohnbau. Ebenso gab es Höhenburgen, etwa Redwitz, hoch über dem Rodachufer – denn die Rodach war ein wichtiger Verkehrsweg, auf ihr gelangten Stämme aus den Frankenwald zu Baustellen am Main.

Burgen hatten auch die Andechs-Meranier selbst. Große, steinerne Höhenburgen auf kahlem Bergrücken, hoch über den Beherrschten, machte die Rolle der Burgherren tagtäglich sichtbar. Dieser Symbolwert wog womöglich nicht weniger schwer als der fortifikatorische Nutzen.

So bauten die Meranier neue Burgen oder erneuerten bestehende. Auf dem Burgberg über Lichtenfels thronte eine solche Anlage. Sie errichteten die Plassenburg, oberhalb der Siedlung Kulmbach, anstelle einer älteren Anlage. Auch die alte Giechburg wurde teilweise durch Neubauten ersetzt. Die Burg Fürstenau zwischen Bayreuth und Kulmbach wurde angelegt, und die Burg Steinberg, nördlich von Kronach, über dem Tal der Kronach, sicherte die andechsische Präsenz im südlichen Frankenwald. Die heutige Veste Coburg dürft e in ihrer Grundform auf die Meranier zurückgehen.

Eine Burg zu bauen, war kostspielig, und sie mit Ministerialen zu besetzen, bedeutete steten Aufwand, denn sie brauchten ein sogenanntes Burggut, sprich: Besitzungen, von deren Ertrag sie leben konnten.

Die Andechs-Meranier gründeten obendrein Städte. Die Geschichte des Stadtwesens im östlichen Franken beginnt mit dieser Familie. Die Herzöge gründeten Scheßlitz und Bayreuth, Lichtenfels und Weismain, wahrscheinlich Hof an der Saale und Herzogenaurach, vermutlich Neustadt bei Coburg, vielleicht Coburg und Kulmbach. Aber auch Innsbruck in Tirol sowie Steinburg und Windischgraz in Slowenien gehen auf die Meranier zurück.

Eine Stadt besaß wirtschaftliches Gewicht. In ihr konnten sich Handwerker und Kaufleute ansiedeln. Auf dem zentralen Platz oder der aufgeweiteten Durchgangsstraße wurden Märkte abgehalten. Durch sie führten Fernwege, die von Reisenden passiert werden mussten – das bedeutete Zolleinnahmen.

Die Städte waren vor allem Großburgen, denn sie waren von einem Wall, Holzpalisaden und einem Graben umgeben, später dann von mächtigen Steinmauern. Diese Befestigung unterhielt nicht der Stadtherr, sondern die Einwohner der Stadt.

In den Städten residierten die Herzöge. Hier standen ihre Herzogspfalzen, große, befestigte Höfe, mit eigenem Zugang von außen und abgeschottet zur restlichen Stadt hin, mit einem heizbaren Wohnbau in der Mitte. Hier stellten sie Urkunden aus, namentlich in Scheßlitz, Lichtenfels und Weismain.

Was ist geblieben?

Nach dem Tod des letzten Herzogs zerfiel seine Herrschaft . Er hatte mehrere Schwestern, deren Ehemänner oder Kinder sich das Erbe teilten. Der Bamberger Bischof holte sich seine beträchtlichen Kirchenlehen zurück, der Graf von Henneberg unterwarf sich das Coburger Land, und manche Ministerialen suchten ihren Vorteil. Zwölf Jahre währte der Streit um den Nachlass, nicht selten kriegerisch ausgetragen. Die meranische Herrschaft zerfiel.

Die Burgen, Symbole der meranischen Macht, sind vom Erdboden verschwunden wie in Lichtenfels oder Niesten, oder sie sind in späteren Jahrhunderten so stark überformt worden, dass man den hochmittelalterlichen Kern kaum mehr erkennt.

Die Klöster Banz und Langheim hielten das Andenken an die Fürstenfamilie wach und sorgten sich um ihr Seelenheil. Doch beide Abteien wurden 1803 aufgehoben. Die Langheimer Klosterkirche wurde abgebrochen; dabei ging das alabasterne Grabmal aus dem 16. Jahrhundert verloren.

Das eigentliche Erbe der Meranier sind ihre Städte. Kulmbach führt das meranische Wappenbild in seinem Stadtwappen, und das Lichtenfelser Stadtwappen wurde 1962 um den Meranierlöwen gemehrt, in Erinnerung an den Stadtgründer. Nicht zuletzt hält das Meranier-Gymnasium seit 1963 durch seinen Namen die Erinnerung an ein europäisches Fürstengeschlecht wach.


Die Plassenburg vor ihrer Zerstörung 1554
Holzschnitt von David de Necker (Staatsbibliothek Bamberg, IV.C.4, Foto: Gerald Raab)

 


Grabmal der Herzöge von Meranien und ihrer Verwandten in der Klosterkirche Langheim
Kupferstich um 1720 (Staatsbibliothek Bamberg, RB.Coll.im.f.5, Foto: Gerald Raab)

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